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Der Mathematiker Steven Wolfram beschäftigte sich Anfang der 1980er Jahre mit „Zellulären Automaten“ – Computerprogrammen, die durch wiederholtes Anwenden sehr einfacher Regeln zu sehr komplexen Strukturen führen.
Die Idee eines Zellulären Automaten (Cellular Automata) wurden schon in den 1940er Jahren von John von Neumann beschrieben. Man kann sich das analog zum alten Brett-Spiel „Othello“ vorstellen. Auf dem Spielbrett gibt es eine bestimmte Anzahl von Feldern auf die Steine gelegt werden können. Die Steine haben nur zwei mögliche Zustände – schwarz oder weiß. Man beginnt mit einer einfachen Ausgangsfigur, bei Othello sind das zwei weißen und zwei schwarzen Steinen in der Mitte des Spielfeldes. Bei jedem Durchgang wird jetzt eine neue Reihe Steine angebaut. Die Farbe der neuen Steine entscheidet sich nach einfachen, festgelegten Regeln, z.B. wird ein Stein dann schwarz, wenn er von zwei schwarzen Steinen umgrenzt ist. Oder er wird weiß, wenn vier Steine im Umfeld schwarz sind etc.
Bewegt man sich Reihe für Reihe über das Spielfeld, entsteht so ein komplexes bis chaotisches Muster. Interessant wird das Ganze beim wiederholten Durchlauf: Aus dem „Output“ des vorherigen Durchlaufs wird der „Input“ des Nachfolgers. Der Vorgang läßt sich beliebig oft wiederholen – Programmieren sprechen dabei von einer Rekursion.
Während der Beschäftigung mit dem Thema kamen wir auf die Idee, mit einem „Typografischen Automaten“ zu experimentieren: Die Zellen sind dabei die einzelnen Buchstaben einen Textes und die Regeln nicht viel komplizierter als schwarze und weiße Steine:
- Vokale lieben Konsonanten
- Konsonanten meiden Konsonanten
- Räumlich nahe, gleiche Buchstaben werden betont.
Nach einigen Minuten entsteht daraus ein nahezu stabiles Schrift-Bild, das zufällig wirkt – aber in Wirklichkeit das logische Ergebnis einer auf simplen, strengen Regeln basierender Rekursion ist. Der gleiche Text würde immer wieder zum gleichen Ergebnis führen. Mehr noch: Durch ein einfaches Vertauschen der Vorzeichen in der Regeln wäre der gesamte Vorgang auch reversibel – man käme nach gleicher Zeit wieder zurück zum Ausgangsbild – dem ursprünglichen, lesbaren Text.
Der Textauszug stammt übrigens aus dem Buch „Das Universum und das ewige Leben“ von Marcus Chown – er stellt in dem Abschnitt die Frage, ob wir das SETI-Projekt (Suche nach extraterrestrischen Leben durch die Suche nach Mustern und Strukturen in Radiosignalen) nicht besser an den Nagel hängen sollten. Wie komplex – und eigentlich nicht mehr erkennbar – eine Struktur leider durch eine auf drei einfachen Regeln basierende Rekursion wird, sieht man…
Auch wenn die grafischen Qualitäten in diesem ersten Versuch noch nicht ausgereizt sind: Die typografischen Konglomerate in der Grafik wirken interessanter als bei einer rein zufälligen Anordnung von Buchstaben. Die Ballung einzelner Vokalgruppen kontrastiert mit „vereinsamten“ Konsonanten im Randbereich.
Umgesetzt wurde die Animation in Processing – einer Open-Source Programmiersprache für Künstler und Designer, die sehr gut mit vielen Elementen umgehen kann. In Flash hätte das Ganze sicher auch geklappt – bei Processing gefällt mir aber die Möglichkeit des Exports in verschiedene (Vektor)-Formate, die eine unkomplizierte Weiterbearbeitung und Verfeinerung in Illustrator oder FreeHand ermöglicht.