Bin ich, wenn ich nicht bei Google bin?

Heute morgen erreichte uns die Mail eines irritierten Kunden. Betreff der Mail: Stimmt das? Im Anhang weitergeleitet: Die „Analyse“ einer Firma aus Hamburg, die sich auf Suchmaschinen-Optimierung spezialisiert hat und im Zuge einer „routinemäßigen Untersuchung“ leider mit Schrecken feststellen müsste, dass das Ranking der Webseite unseres Kunden auf Platz 157 von 158 sei. Ich kannte diese Firma inzwischen, denn es war bereits die dritte Mail dieser Art und der gleichen Firma, die ich in den letzten beiden Tagen bekommen hatte. Alle drei Mails kamen von unterschiedlichen Kunden, die von der gleichen Firma im Zuge eines Massenmailings angeschrieben wurden. Nachdem ich zum dritten Mal zu einer freundlichen Erklärung des Themas ansetzte, dachte ich: Zeit für einen kleinen Beitrag in unserem Labor!

Die Aufmachung des Ganzen wirkte seriös und es gab einen Link zu einem Login-Bereich, bei dem man detaillierte Einblicke in die Auswertung bekam. Immer offen für Kritik (und neue Erkenntnisse), loggte ich mich ein und wurde von einer langen Liste mit roten Ampeln konfrontiert, die in etwa sagten: Sie hätten besser Schreiner oder Schuster werden sollen als Webseiten zu backen.

Als sich der erste Schreck gesetzt hatte, schaute ich etwas genauer in die Zahlen.

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Das erste war ein auffälliger roter Balken in der Mitte mit der analysierten Domain unseres Kunden. Moment: War das wirklich die Domain unseres Kunden? Nein – die Domain gab es gar nicht, es handelte sich um eine URL, die nicht reserviert war und nur ähnlich klingt. Ein spannendes Thema und eine hohe Kunstfertigkeit, die ich noch nicht beherrsche: Wie analysiert man das Ranking einer Domain, die es gar nicht gibt? Aber, dachte ich, Auge zudrücken, Fehler passieren nicht nur Menschen, sondern auch Suchmaschinen-Optimierern.

Zweiter Blickfang: Der Panik-Bereich ganz oben. Hier war sie, die graue Liste des Grauens. Die gestreifte Verdamnis. Der tabellarisierte Albtraum. Höchst anschaulich und ohne jedes Mitleid wurde vor Augen geführt: Du existierst eigentlich gar nicht auf dieser Welt. Du bist unsichtbar während alle anderen fröhlich Deinen potentiellen Käufern zuwinken. Doch der Prozess selbstnihilistischer Erkenntnis wurde von einer Irritation getrübt: Unser Kunde verkauft doch Räder – warum ist ein Hersteller von Sport-Brillen laut Analyse auf Platz 1? Schnell griff ich zu Google und gab mal den Suchbegriff „Fahrräder“ ein. Das Ergebnis verwirrte mich noch mehr: Die Liste der Suchergebnisse bei Google hatte nicht im Entferntesten etwas mit der Ranking-Analyse dieser SEO-Firma gemeinsam. Nicht eine einzige Überschneidungen!

Natürlich war der erste Gedanke: Vielleicht habe ich die falschen Suchbegriffe eingegeben. Also versuchte ich es mit verschiedenen Varianten, Singular-Formen, mit und ohne Bindestriche, eben dem üblichen Repertoire. Ohne Erfolg. Und auch die Webseite der SEO-Firma selbst beantwortete die eigentlich erste und wichtigste Frage nicht, die wir unseren Kunden in Zusammenhang mit Suchmaschinen-Optimierung stellen: Nach welchen Begriffen soll die Seite denn überhaupt gefunden werden? Ein Urteil über das Ranking zu fällen ohne die Suchbegriffe zu nennen ist schlau – zumindest, wenn man Menschen verunsichern möchte um neue Kunden zu gewinnen.

Erst als ich weiter nach unten scrollte und mir im Detail anschaute, nach welche Kriterien denn die Seite als „schlecht“ befunden wurde, dämmerte mir, wie das Urteil zustande kam. Eine lange Liste führte mehr oder weniger relevante Kriterien auf, nach denen die Webseite analysiert wurde. Viele Klassiker wie „Enthält Keywords“, „Es fehlen Hinweise für Suchmaschinen“ – aber auch einige eher Unbekannte. Das Ganze legte die Vermutung nahe, dass das Ranking auf einem eigens von der Hamburger Firma entwickelten Beurteilungs-System basiert. Das erklärte auch die Kluft zwischen dem Ranking dieser Firma und der „realen Welt“ – also Google. Richtig war zwar, dass einige der gelisteten Punkte zu einer besseren Auffindbarkeit führen können. Ob sie das dann aber auch wirklich tun, kann jeder selbst überprüfen – wenn er die Suchbegriffe kennt. Und zumindest hier wurde mir der Bezug zur Realität nicht ersichtlich.

Das Geschäftsmodell fand ich wiederum interessant: Ich bezahle eine Firma dafür, dass ich auf der Liste, die sie nach eigenen Kriterien erstellt hat, ein besseres Ranking bekomme. Eigentlich doch die beste Art, seinen Kunden Erfolg garantieren zu können. Nur eines ist mir bis jetzt nicht ganz klar: Nehmen wir mal den gar nicht so unwahrscheinlichen Fall an, dass die Rundumschlag-Akquise dieser Firma erfolgreich ist und viele unterschiedliche Kunden des gleichen Segments ihr Ranking auf der privaten Ranking-Liste verbessern möchten: Nach welchen Kriterien entscheidet die Firma dann, wer oben ist? Vielleicht einfach danach, welcher Kunde sich gerade eingeloggt hat.

Aber zurück zum Thema. Wenn schon ein eigenes Bewertungssystem herangezogen wird, lohnt die Frage: Wie relevant sind die Kriterien denn im Detail? „Keine Keywords“ steht da ganz oben. Komisch, wo doch Keywords bei Google bekanntlich keine Rolle mehr spielen. „Es fehlt ein Browser-Icon“: Verdammt – auf was Suchmaschinen heute alles Wert legen. „Ihre Startseite wird nicht in Google gefunden“ – Oh nein, die Leute verpassen unsere nicht vorhandenen Intro-Animationen! Schön fand ich auch „Ihre Domain wird nicht bei Twitter gefunden“.

Das könnte jetzt das Ende einer kleinen Geschichte sein, aber sie hat noch keine wirkliche Pointe. Also dachte ich: Wenn doch diese Firma sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, unseren Kunden der Reihe nach zu verunsichern und zu sagen, was an ihren Webseiten alles falsch ist: Was hat denn diese Firma aus Hamburg bei Ihrer eigenen Webseite alles richtig gemacht?

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Die erste Frage stelle ich Google. Sollte jemand, der sich für einen Experten der Suchmaschinenoptimierung ausgibt nicht auch bei einer Suchmaschine ganz oben stehen? Das wäre ja sonst wie der glatzköpfige Haarwuchsmittel-Verkäufer. Nach der zehnten Seite immer noch keine Spur. Und nur falls Sie fragen: Natürlich verrate ich nicht, unter welchen Begriffen ich gesucht habe. Da ich zu faul bin, die anderen Suchmaschinen zu testen nehme ich mir ein Tool zur Hand. Ein Klick vergleicht das Ranking bei den 5 großen Suchmaschinen. Puh, sieht das ernüchternd aus. Nein, mein Gefühl bestätigt sich: Diese Firma aus Hamburg braucht dringend eine ausführliche Beratung in Sachen SEO. Und wie es der Zufall will, hätte ich da auch schon eine Liste mit Kriterien, nach denen ich die Seite analysieren kann. Also: Gehen wir sie mal durch…

„Keywords“: Ja, gibt es. Aber was sind das denn für Begriffe? Genau 9 Stück finde ich im Quelltext der Homepage – die Hälfte davon vollkommen austauschbar und damit irrelevant („Hamburg“, „Agentur“, „Suchmaschinen“). Besonders schön finde ich das letzte Keyword. „such“ steht da am Ende. Ich stelle mir gerade den Internet-Benutzer vor, der verzweifelt nach einer Firma sucht, die das Ranking seiner Webseite verbessern kann. Klar, dass er als erstes bei Google „such“ eingebe. Ich such ja schliesslich, oder?

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„Description“: Ja, gibt es. Wir sind eine Google AdWords Agentur mit Sitz in Hamburg und betreuen nationale und internationale Kunden. Auch schön – aber ich dachte es geht um Suchmaschinen-Optimierung. Und: Muss ich das mit den internationalen Kunden jetzt wirklich wissen? Vielleicht wäre noch der Zusatz „Bekannt aus der TV-Werbung“ dahinter schön gewesen.

„Es fehlen Hinweise für Suchmaschinen“, „Es fehlt ein Sprachhinweis“, „Keine robots.txt vorhanden“ – drei Mal rotes Licht, Leute! So kann das ja nichts werden mit Eurem Ranking.

Immer wenn man denkt: Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen, kommt es dann doch. Der Albtraum ist materialisiert in einer blauen Kugel neben der URL-Angabe: Statt eines Browser-Icons grinst mich hier nur das Default-Symbol von Safari an. Wie soll man denn nur auf dieser Welt ohne Browser-Icon zu Ranking-Ruhm gelangen?